Geschichte: Bei der Müllerin im Muggiotal

Es klappert die Mühle

Ursprüngliche Aromen aus dem Muggiotal. Seit 25 Jahren schmeckt der rote Mais in der Bruzella-Mühle nach Kindheit.

Die historische Mühle von Bruzella im wunderschönen Muggiotal dient nicht nur als Fotomotiv und lehrreiches Ausflugsziel. Die Anlage verarbeitet auch ganzjährig den seltenen roten Mais zu köstlichem Polentamehl.

DAS IST

Irene Petraglio, Müllerin

Irene Petraglio, Müllerin
Der Architekt sagte mir: Die Mühle funktioniert! Aber wie, musst du herausfinden.

Ein lautes Knirschen durchbricht die Ruhe auf dem Talgrund des Valle di Muggio. Ächzend setzt sich das gewaltige Mühlrad in Bewegung. Wie ein Wasserfall ergiesst sich das aufgestaute Wasser aus dem Zuleitungskanal in die Breggia. Erst zögerlich, dann mit immer mehr Rhythmus kommt das Eisenrad in Fahrt. Wenn Müllerin Irene Petraglio mit zufriedenem Blick aus dem Gebäude tritt, hat die Mühle in Bruzella ihre Arbeit aufgenommen. Wie ein Uhrwerk. Und verwandelt den seltenen roten Mais in hochwertiges Mehl.

DIE VOLLSTÄNDIGE GESCHICHTE


Bruzella, Mendrisiotto

«Wie ich hier angefangen habe? Als Autodidakt», erzählt Irene Petraglio, die seit Wiederöffnung der historischen Wassermühle im Jahr 1996 für die Anlage im südlichsten Tal des Tessins verantwortlich ist. Seit 25 Jahren hält Irene Petraglio als Mitarbeiterin des Ethnographischen Museums des Muggiotals den Handwerksbetrieb am Laufen, empfängt Besucher – darunter auch Schulklassen und Teilnehmer von Firmenevents –, die etwas über das traditionelle Gewerbe des Müllers lernen wollen. 

Doch die Mühle, die schon allein wegen ihrer idyllischen Lage im Wald ein beliebtes Ausflugsziel ist, dient heute nicht nur didaktischen Zwecken. Tatsächlich werden hier im Jahr 20 Tonnen Tessiner Mais zu Mehl verarbeitet und an Dorfläden, Grotti sowie Besucher der Mühle verkauft. Eine besondere Spezialität dabei ist der rote Mais, eine alte, hochwertige Sorte aus dem Tessin.

Bruzella, Mendrisiotto
Bruzella, Mendrisiotto

Der rote Mais hat nur dank des Engagements einiger Landwirte überlebt und inzwischen durch die ProSpecieRara gefördert wird. 

Bruzella, Mendrisiotto
Der rote Tessiner Mais hat einen intensiven Geschmack. Das harte Korn ist Zeichen für gute Qualität.

Der Schritt hinein in die Mühle ist mit einem Temperatursturz verbunden. Herrschen draussen Frühlingstemperaturen, liegt die Raumtemperatur im Inneren bei nur wenigen Grad über Null. Die Kälte hat aber ihren Sinn. Die Müllerin verweist auf den schnell rotierenden Mühlstein, der von dem Aussenrad angetrieben wird. Viele kleine Furchen durchziehen seine raue Oberfläche. «So kann beim Mahlen Luft zirkulieren. Das schützt vor Erhitzung.» 

Bruzella, Mendrisiotto
Bruzella, Mendrisiotto

Denn Brände seien immer schon eine Gefahr für Mühlen gewesen. Die schwarz verkohlten Dachbalken zeugen bis heute von solchen Katastrophen.

Bruzella, Mendrisiotto
Pro tip
Etwa 30 Minuten von der Mühle entfernt befindet sich auch der Park der Breggia-Schluchten. Hier gibt es auf einer Fläche von 65 Hektar 200 Millionen Jahre Geologiegeschichte zu entdecken.
Der einzige Schwenkhammer der Schweiz befindet sich in Aranno, im Malcantone. Inmitten der Natur gelegen, ist es entlang des Themenpfads Weg der Wunder leicht zu erreichen.
Ein weiteres sehr beliebtes Mehl ist das Bòna-Mehl, das aus geröstetem Mais hergestellt wird. Das von Slow Food anerkannte Farina Bòna wird in der Mühle von Vergeletto im Onsernonetal hergestellt.

Seit über 720 Jahren existiert die Mühle in Bruzella. Dokumentiert ist sie erstmals in einem kirchlichen Inventarverzeichnis der Jahre 1296 bis 1298. Im Verlauf der Zeit veränderte und vergrösserte sich die Anlage. Schon im 16. Jahrhundert galt sie als komplex. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde sie technisch auf ein nahezu industrielles Niveau gebracht.

Bruzella, Mendrisiotto
Bruzella, Mendrisiotto

Die alten Förderbänder transportierten das Mehl zum automatischen Sieben und Verpacken in die oberen Stockwerke.

Bruzella, Mendrisiotto

«Die Polenta schmeckt nach Kindheit im Tal.»

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Bruzella, Mendrisiotto

Die strategisch günstige Lage der Mühle am Maultierpfad machte sie zum Dreh punkt der früheren Wirtschaft im Tal und ist auch der Grund, weshalb das Ethnographische Museum sie ab dem Jahr 1986  – nach der Schliessung 1965 – umfassend restaurierte. Heute ist die Mühle über die Wege zu Fuss gut zu erreichen.

Gesiebt wird inzwischen mit der Hand. Die Förderbänder sind nicht mehr in Betrieb. Irene zeigt das rotgesprenkelte, gelbe Mehl, das aus den roten Maiskörnern entsteht. Zwei Mahlstufen gibt es: ganz fein für Gebäck, etwas gröber für Polenta. Das Besondere: Anders als beim industriell hergestellten Mehl wird beim Maismehl in Bruzella das gesamte Korn verwertet, auch der hochwertige ölige Kern und die Schale.

Bruzella, Mendrisiotto
Bruzella, Mendrisiotto

Verwendet wird nur bester Tessiner Mais, gelb oder rot.

Bruzella, Mendrisiotto
Bruzella, Mendrisiotto

«Die rote Sorte hat einen etwas intensiveren Geschmack und ist besonders hart. Ein Zeichen für Qualität.» Die Unterschiede zu industriellen Produkten schmecke man sofort, sagt Irene. Die Grotti, die bei ihr einkaufen, würden für Polenta oft roten und gelben Mais mischen.

«Und die alten Menschen sagen mir glücklich, es schmecke wie früher in ihrer Kindheit!»

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